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Volker Bethge

Seniorskipper

Zur Verleihung der "Lädine" - Bodenseesegler des Jahres 2013

Herr Präsident,
sehr geehrte Damen, meine Herren,

Ich muss bekennen, ich ringe noch immer mit dem Versuch zu verstehen, warum ich heute hier stehe und zu Ihnen spreche - auch noch mit einem Festvortrag. Überschrift vielleicht:
Unmaßgebliche Betrachtungen eines Fahrtenseglers.

Es ist ein großer Moment in meinem Seglerleben. Und natürlich bedanke ich mich bei allen, die diese Einladung ermöglicht und ausgesprochen haben.

Bodenseesegler des Jahres - nichts lag mir ferner, als eine solche Ehrung.
Meine Beziehungen zum Bodensee blieben eher sporadisch - aber nach langen Jahren der Mitgliedschaft in der GfS - intensiv und prägend.

Ich verstehe diese Ehrung als Anerkennung des GfS-Konzeptes der Skipperausbildung, -Fortbildung und Patenvergabe, an dem ich Anteil hatte und habe.
Ich verstehe die Ehrung auch als Stellvertretung für alle Skipper unseres Vereins; Kollegen, die je nach Lebenssituation - und ich mag da ein bisschen besonders vom Glück bevorzugt gewesen sein - mal mehr, mal weniger ihren Beitrag dazu leisten, dass wir nun bereits viele Jahre zwei Schiffe unterhalten und in Fahrt halten können.

Ich verstehe diese Ehrung schließlich als Anerkennung der wechselnden Vorstände und Kommissionen, die den Verein am Leben erhalten, besonders die Finanzstruktur mit hoher Professionalität gestalten - und so Vieles mit nachsichtigem Verzeihen decken und ausbügeln, was wir Skipper mit den Schiffen gegen die Wand fahren.

Alles was ich zum Hochseesegeln beitragen konnte ist im Ergebnis eine Summe von Erfahrungen mit unseren Schiffen, -
im Laufe der Jahre immer komplexer gewordenen Systemen;
Summe auch der weiter gereichten Erfahrungen anderer Skipper, von denen ich lernen konnte.

Ich hefte gerne zu Beginn eines neuen Törns eine kleine Radierung des spanischen Malers Goya an die Kajüt-Wand - sie liegt aus - : Aun aprendo. Auch ich lerne noch. Unterm Strich: heute gilt mein Dank diesem Verein. Ich bin dankbar für die - ja, man kann sowas ausrechnen - ca. 30.000 Stunden meines Lebens, die ich mit unseren Schiffen durchleben konnte - auf See und in ungezählten Häfen der nördlichen Hemisphäre.

Dankbar bin ich aber vor allem auch meiner Frau, die über viele Jahre Erfahrungen auf See mit mir und unseren Kindern geteilt hat; auf eigenen Schiffen und GfS- Schiffen; dann mich aber auch - manchmal mit Sorgen im Herzen - hat allein ziehen lassen.

Lassen Sie mich einige Erlebnisse erinnern, die für unser Segeln typisch sind, eines Hochseesegelvereins, der sich damit auch absetzt vom verbreiteten Charterboom.

1. Atlantiküberquerung zwischen Teneriffa und St. Lucia. Um 10 Uhr abgelegt, um 17 Uhr angelegt. Ein Segeltag, wie auf dem Wannsee - "Am Sonntag will mein Süßer mit mir Segeln gehen" - nur dass sich dieser Tag auf 17 Tage und einige Stunden dehnte. Manchmal ist Hochseesegeln nur entspannend.

2. Auf dem Weg von Miami zu den Azoren; Zwischenziel Bermudainseln. 44 Seemeilen vor dem Ziel Starkwind um die 40 Knoten von vorne, steile See vor dem Bug. Der Wetterbericht spricht mit britischem Understatement von "unsettled conditions". Brechende Mittelwant Bb. Das Vorsegel kann nicht mehr gefahren werden, das Gross nur im 3. Reff. Unter Motor machen wir knapp 2 Knoten Fahrt über Grund. Mit dem Stützsegel in die Nacht. Die See erreicht Cockpit und Rudergänger.

Tröstlich war nur noch die ruhige, professionelle Stimme der Coastguard, der wir prophylaktisch unsere Situation - natürlich keinen Seenotfall - im klippenreichen Gewässer mitgeteilt hatten.

3. Auf dem Weg von Bodö/Nordnorwegen über die Färöer Inseln nach Island, Ziel die vulkanischen Inseln Vestmannaeyjar, Ansteuerung des Hafens der Insel Heimaey im letzten Büchsenlicht. Vor dem Bug dunkle Felswände, hoch aufragend. Die Einfahrt in den Hafen - noch gab es keine Plotterkarten - muss ja voraus sein. Also mutig mit der Legerwallwelle weiter. Die schmale Einfahrt in die Hafenbucht liegt dann voraus.

Es bleibt der sprichwörtliche "sichere Hafen" immer neu das Ziel allen Sehnens derer, die die See befahren. Der sichere Hafen als Metapher eines tiefen Bedürfnisses, dass Menschen eigentlich festen Boden unter den Füßen brauchen.

Wir brauchen den Kontakt zur Küste, den Funk, die Leuchttürme - sie sollten niemals geschliffen werden - als Verheißung: du hast es bald geschafft. Es gibt den Ort, wo sich Anspannung löst, wo die kleine schwankende Einheit Fahrtenschiff zur Ruhe kommt. Die Weite des Meeres mit allen romantischen Verklärungen, die wir so gerne besingen (Rod Steward) "I am sailing ... to be free" - im Grunde eine Überforderung; die Fischer an den Küsten, die wir befahren, die mit der Seefahrt hart ihr Geld verdienen, haben dafür kaum Verständnis.

Warum tun wir Fahrtensegler es trotzdem?
Die Gründe sind vielfältig wie die Segler verschieden sind, scheinbar. Vielleicht ist da ein gemeinsames Argument: die Herausforderung, der Reiz, das bisher Unbekannte zu "erfahren" und auszukosten.
In den Anfängen noch ohne GPS, mit manchmal mühsamem Funkverkehr über Norddeichradio, geschweige denn aber mit modernen elektronischen Geräten wie AIS und Satellitentelefon.

Das Erleben der Natur, unterm Sternenhimmel, bei wechselnden Wetterlagen und Winden, Nebel und Regen, das Ankern in einsamen Buchten, die endlosen Stunden auf See, Tag und Nacht.
Ich denke, man möchte meinen -
Die Stunde ist die Einheit des Fahrtenseglers.
Wachstunden, Freiwachstunden, Stunde des Aufbackens und Abbackens. Die Stunde am Ruder in sternloser Nacht bei stürmischem Wind und Nebelnässen, südlich der Treibeisgrenze, wo Golfstrom und Labradorstrom aufeinander treffen - der Wachkamerad döst in der Cockpitecke, du versuchst sorgfältig den Kurs zu halten, immer die Patenthalse im Kopf.
Ich rufe gerne meinen Mannschaften zu: das ist Segeln mit der GfS.

Die Stunde ist die Einheit des Fahrtensegelns.
Diese Sicht entsteht aus der Langsamkeit unserer Fortbewegung. Was jubelt die Crew, wenn die Loganzeige auf 8 Knoten klettert! Jeder Fahrradfahrer ist schneller. Es ist eine Täuschung, wenn auch eine schöne. Wir sind nicht schnell. Warum wollen wir es trotzdem glauben?
Es gibt eine zweite Täuschung - neben der zeitbezogenen auch die raumbezogene. Die Weite des Ozeans ist eine Illusion, wenn auch eine schöne. Wir sind genarrt durch ein Raumerleben, das vergisst, dass bei den 2 m - Augenhöhe unser Horizont auf ca. 2,5 Seemeilen, also etwa 5 km begrenzt ist. Der Ozean jenseits des Horizontes bleibt auf ewig verborgen.

Aber trotz dieser Einwände zu Zeit und Raum sind wie tief berührt, wenn wir zur See fahren; emotional herausgefordert, auch an Grenzen gebracht, verbunden mit Staunen, Hochgefühl, Erschrecken, Niedergeschlagenheit und Ermüdung.

Was geschieht da eigentlich? Der folgende Vergleich mag Sie überraschen.
Ich bin ein Fan des Expressionismus in der Malerei. Der Blaue Reiter, der Künstlerkreis um Kandinsky, Jawlensky, Werifkin, vielen anderen, Klee, Feininger - sie erfanden vor hundert Jahren die Malerei neu. Sie suchten eine Synthese zwischen der äußeren Erscheinung, dem sie mit ihren Staffeleien und Notizblöcken gegenüber saßen, und ihrem inneren Empfinden. Künstler zu Beginn des 20. Jahrhundert waren beeindruckt von der Kraft, Urwüchsigkeit, dem überwältigenden Schauspiel der Naturerscheinungen, auch von Meer, Wind und Wolken. Mit einem Rausch an Farben, manchmal mit scharfen Konturierungen haben sie dem begegnen wollen. Auf ihren Leinwänden erzeugten sie die perfekte Illusion, die sich einem Betrachter, der sich darauf einlässt, unmittelbar erschließen kann. Uns Seglern, deren Ausdrucksform das Segeln selbst ist, erschließt sich das Sujet im Vollzug,
auch nicht mit sezierender Betrachtung, sondern mit ganzheitlicher Wahrnehmung aller Sinne, allein mit unserem unmittelbaren Empfinden auf schwankendem Untergrund auf kalmer oder stürmischer See.
Die Faszination des Meeres ist unbestritten und sie hilft zum Leben.

Erlauben Sie mir noch kurze Hinweise auf scheinbare Randaspekte, die das Fahrtensegeln für mich bereichern.
1. Ich will die ungezählten Begegnungen mit Mitgliedern unseres Vereins würdigen, das geteilte Leben über eine, zwei, drei bis fünf Wochen. Das bleibt immer wieder eine Herausforderung, und es ist überhaupt nicht selbstverständlich, das das gelingt. Auch ich kenne Niederlagen in dieser Hinsicht. Meistens aber geht es gut bei hoher Bereitschaft zu sozialer Verträglichkeit und gemeinsamer Verantwortung für Schiff und Mannschaft.

2. Dankbar bin ich, dass es all die Jahre auf meinen Törns keine wirklich bedeutenden Schäden an den Schiffen gab, und wichtiger, dass alle miteinander immer wieder gesund nach Hause kamen.

3. Wir sollten schließlich nicht vergessen die Begegnungen mit Menschen an den von uns befahrenen Küsten, in fremden Ländern, leider wohl auch eher fremd bleibenden Ländern und Menschen, mit sehr beschränkten Einsichten in ihre Leben und Schicksale.

Bei aller Individualität - von aussen gesehen sind wir, ob wir wollen oder nicht, Teil einer gigantischen Tourismusindustrie im Segelsport. Mit all ihren Problemen. Leider treffen wir auch in unseren Kreisen auf die Meinung, dass im Grunde unter deutschen Verhältnissen doch alles besser sei. Wer so denkt, sollte zu Hause bleiben.

Es ist ja Teil unseres Hobbys, nicht nur die Regeln der besuchten Küsten zu kennen und zu beachten, sondern auch aufmerksam, achtsam und mit Respekt dem Fremden, den anderen Kulturen zu begegnen; vielleicht sogar mit Interesse für die politischen Entwicklungen und Verwerfungen. Die Boatpeople im Mittelmeer können auch zu unserem Problem werden. Und wurden es bereits.

Ich will zum Schluss bekennen: es ist mir nicht gelungen, dem Regattasport etwas abzugewinnen, der auch im BSVb eine so zentrale Rolle spielt. Da muss man wohl von Kindesbeinen an hinein wachsen. Ich hatte das Glück, meistens Mitsegler an Bord zu haben, die beim Segeltrimm an Schoten und Holepunkten ihr Bestes gaben.

Ich bin und bleibe hoffentlich noch ein paar Jahre ein eingefleischter Fahrtensegler. Sicherheit für Schiff und Mannschaft stehen im Vordergrund; der Kurs, die Handhabung der Elektronik, die Kenntnis der umfangreichen sonstigen seemännischen und technischen Ausrüstung, nicht zuletzt die Einweisung und Anleitung der Crew - und überhaupt die Mitgestaltung des Lebens an Bord, Stunde um Stunde, unter 5 bis 7 Seglerinnen, die wenige Wochen ihres Lebens das gemeinsame Hobby pflegen wollen. Nicht Start und Ziel, vielmehr Starthafen und Zielhafen bestimmen das Leben von Fahrtenseglern. Was dazwischen liegt ist pures Erleben, ist manchmal Stress und Kampf, meistens aber ein großes Vergnügen; auch heute noch geistige und körperliche Herausforderung, ein - wie wir immer hoffen - kalkulierbares, beherrschbares Risiko. Aber: auch uns Fahrtenseglern verzeiht die See keine Fehler. Wenn die Navigation wegen modernster Entwicklungen auch so viel einfacher geworden zu sein scheint, oder auch wirklich der Stress geringer geworden ist - wenn wir den Hafen verlassen haben, bewegen wir uns in einem Element, dem wir nur mit größter Aufmerksamkeit und einem Quentchen Glück gewachsen sind.

Nicht zuletzt die immer wieder faszinierende Begegnung mit Walen, Tümmlern, Delfinen und den im Aufwind der Wellen gleitenden Seevögeln, müsste uns eigentlich klar werden lassen, dass wir dort draußen nur geduldet sind, aber nicht wirklich hingehören.

Trotzdem: wir werden immer wieder die Leinen los machen und uns in eines der letzten großen Abenteuer des - aus meiner Perspektive - kleinen Mannes stürzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Volker Bethge 

Volker Bethge